Durchsichtige Augen (arbeitstitel)

Durchsichtige Augen (arbeitstitel)

( Aus dem Hebräischen Gaby Wallenstein )

„Wenn du so sehr möchtest, dann fahren wir“. Sie sassen im prachtvoll eingerichteten Cafe‘, die gepolsterten Stühle mit rotem Samt überzogen. Über den Fenstern zur Strassenseite hingen helle durchbrochene Vorhänge. Frühe Mittagstunde. Man ist noch nicht zur Mittagpause gegangen. Nur wenige Gäste waren im Cafe. Eine Kellnerin in weisser Schürze mit gestärkten Rüschen bediente sie. Der Kaffee wurde in Pozellantassen gereicht, versilbertes Besteck, so auch die Kännchen. Mitteleuropäisches Aroma, ovale Bilder an den Wänden, Landschaften neben strengmieniger Gesichter Honoratioren des vorigen Jahrhunderts, wahrscheinlich namhafte Gäste. Auch sie tranken hier Kaffee mit Sahne.

„Wenn du möchtest“, wiederholte er. Sie schwieg in sich selbst versunken, spielte mit dem Zuckerlöffelchen, als seien ihr die Worte plötzlich weggeblieben. Gestern, als sie im Fotoalbum blätterten, sprachen sie über seine Familie, hauptsächlich vom Grossvater, der auf den Fotos so stramm erschien, starren Blickes in seiner glänzenden Uniform. Über den Grossvater wollte sie noch weiter sprechen und wusste schon im vornehinein welche Antworten sie bekommen wird,: Alle taten es, alle waren so, es gab keine andere Möglichkeit.
„Lass uns fahren, deinen Grossvater besuchen“, sagte sie nach der Mahlzeit. „Vielleicht morgen?“. „Es ist sinnlos“, antwortete er, „sowieso wirst du mit ihm nicht sprechen können. Er ist gänzlich senil. Warum bestehst du so sehr darauf? Was wirst du davon haben?“ „Ich will es versuchen“, sagte sie, „es reicht, wenn ich ihn mir ansehe“.
Auf den Fotos sahen sie immer so selbstsicher aus, gelassen, sauber. Gegenüber den Menschenschatten, die vor ihnen knieten oder auf der Erde lagen, sahen sie wirklich wie Übermenschen aus. Arrogant und überheblich. Wechselhaftes Wetter. Die Vorhersage warnte vor einem sich anbahnenden Sturm. Es wird wieder regnen. „Fahren wir,“ sagte er und machte der Kellnerin ein Zeichen, „fahren wir“.
Der Weg zum Seniorenheim der Militärveteranen (Wehrmachtveteranen) läuft durch ruhige ländliche Landschaft, windet und biegt sich zwischen mit Bäumen gekrönten Hügeln, Richtung Frankfurt. Der Wind wurde immer stärker, die Strasse verschwand in den Bäumen. Durch die Windschutzscheibe spielen Licht und Schatten zwischen den Baumstämmen, die vor ihren Augen vorbei streifen ein Versteckspiel , hin und wieder rutscht das Auto auf der glatten Strasse aus. Die Fahrzeuge, die Ihnen entgegen kommen signalisieren, ein übliches Zeichen für eine schadhafte Fahrbahn. Ein Wolkenbruch womöglich, er verlangsammte die Geschwindigkeit, jetzt kann sie die Bäume betrachten, die die Fahrt begleiten, zerraufte Wipfeln, gebeugt unter dem heftigen Wind.

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Meine Mutter erzählte mir, dass sie sonntags hinaus gingen, im Wald spazieren. Eine Stunde Entfernung von der Stadt und schon eröffnete sich der Blick zum Wald, Bäume, Wiesenquadrate. Es gab dort hellstämmige Birkenwälder und buschige Nadelbäume, es gab Lichtungen im Wald und auf dem mit Nadeln überpuderten feinen Gras, wurde die karierte Decke ausgebreitet (immer rot-weiss kariert, die Farben der Nationalflagge), die Strohkörbe wurden draufgesetzt, Weinflaschen geöffnet und der Wein wurde aus feinen Stilgläsern getrunken. Manchmal wurde gesungen. danach die Bauenbrot Scheiben, frisch gebacken, das meine Oma zu backen pflegte, mit hausgemachter Konfitüre. Mutter liebte es, mir von diesen Spaziergängen zu erzählen, in der Neueinwanderer-Wohnsiedlung, die in die gelbe Sandlandschaft wie zufällig gestreute Würfel gebaut war. Ohne ein Zipfel Grün, Baumlos, nicht eine Blume, nur Sand und Disteln, wo sich Eidechsen versteckten. In der schweren Hitze, unter dem Himmel der neuen Heimat bar jeglichen Schatten, drangen ihre Sehnsuchtstropfen nach dem Grün in mich hinein. Zusammen mit ihr, auf den Stufen der glühenden Zellstoff-Baracke, sehnte sich meine kindliche Seele nach dem so ruhig und kühl plätschernden Bach, nach der Waldlichtung, nach den Pilzen, den Himbeersträucher und dem Vogelgesang, nach dem fernen Paradies, das mit ihren Tränen übergossen war, und damals war es mir unverständlich, wieso wir von dort ausgetrieben wurden.

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In der Kurve, gleich vor der Einfahrt zum kleinen Dorf B, in dem das
Seniorenheim der Wehrmacht, „Zur wohlen Ruhe“ sich befindet, ist die Strasse überschwemmt. Ein Wasserstrom fliesst die Fahrbahn hinunter und erschwert die Fahrt. Er zündet eine Zigarette und flucht leise, dann entschuldigt er sich, und flucht weiter. Ein Polizist in Regenhaut klopft ans Fenster, sagt was er sagt und eilt zum nächsten Wagen. So standen sie, wartend. Heller Dunst auf der Fensterscheibe, die Wischer surren. Endlich kam das Zeichen und die Wagenkolonne fuhr langsam weiter. Die Strasse war mit Wasserströmen überspült, rechts, Abzweigung ins Tal. In der fortschreitenden Dunkelheit sahen die Lichter in den Häusern wie Glühwürmchen aus. Am Strassenrand ein Schild zum Seniorenheim. Eine kleine Strasse, im Regen gewaschene Häuser in zarten Pastell Farben, ein grosses Haus. Beide Stockwerke mit blühenden Blumenbänken verziert, stilisierte Laternen beleuchten die Einfahrt, vor dem Haus ein steinbelegter Platz, ein weitläufiger Garten. Parken. Im Foyer begrüsst sie eine Frau mit ernster Miene, erkundigt sich nach ihrem Wunsch. „Sofort, meine Dame, mein Herr,“ antwortete sie, „bitte warten Sie“. Es kam eine junge Krankenschwester in blauer Haube, gestärkt, ernsthaft. Geräuchlos folgten sie ihr. Sie gingen durch einem mit beruhigenden Hellbalu gestrichenen Korridor, Blumentöpfe in jeder Ecke, Aquarellandschaften an den Wänden, weiche Teppichböden, ein Ledersofa zum Ruhen, im Hintergrund leise klassische Musik, eine Glastür. Im kleinen Raum sassen die Alten, auf Sesseln und Rollstühlen. Gehhilfen und verschiedene andere Gehstützen standen entlang der Wand, sauberpoliert und ordentlich gereiht. Einige der Sitzenden schauen auf den Fernsehschirm, einige blättern in illustrierte Zeitschriftn. Eine Krankenschwester in weisser Uniform näherte sich ihnen, einen Rollstuhl schiebend. Er umarmte ihre Schulter. „Dies ist Opä, sagte er ihr leise. Ein alter Mann, dessen kalte Schönheit noch erhalten blieb. Harte Gesichtszüge, hohe Stirn, schütteres gelbes Haar, noch kaum ergraut. Die Augen waren das Eminente an seinem Gesicht. Die gleichen wie die Augen seines Enkels der ihm gegenüber steht. Der alte blickte geradeaus mit blauen, durchsichtigen Augen, sein vernebelter Blick wie in eine andere, ferne Welt versunken.
„Er ist vollkommen senil“, sagte er leise, „kein Sinn mit ihm zu sprechen“. „Versuch’s doch, versuch“, bat sie, „sag ihm etwas“. „mein Herr“ sagte er leise, „mein Herr, Sie haben Besuch“. Die blauen Augen starrten weiter in die Luft. Sie beobachtete ihn aufmerksam, ein durchaus ehrenhaftes Greisenalter. Erinnerte sich an was er ihr sagte als sie im Fotoalbum bläterten. „Als ich ihn fragte, was er ihm Krieg machte, schlug er mich. Nur ein einziges Mal schlug er mich, aber wie! Mutter sagte nur, ‚Lass ihn, er ist schon alt, was willst Du von ihm, er war nicht der einzige SS Offizier'“. Er war schon 17 als er von der Vergangeneheit des Grossvaters erfuhr und dann verlie? er sein Elternhaus und kehrte nie zurück. Jahre lang hatter er gar keinen Kontakt zu ihnen geahbt. Als der Grossvater ins Altenheim überführt wurde, kam er zu Weihnachten. Ein kurzer, schmerzhafter Anstandsbesuch. Er fürchte, so sagte er ihr in seinem Zimmer im Studentenwohnheim, er fürchte, da? er etwas vom Zauber des Bösen seiner Vorfahren geerbt hätte.

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Mutter erzählte, dass ihre Schwester Elisabetta eine der schönen jungen Frauen von Lodz war. Mit ihrem dunklen Haar, ihre hellen Augen und ihrer wohlgeformten Figur. Sie war Jurastudentin, beherrschte einige Sprachen, zeigte künstlerische Fähigkeiten, feinen Sinn für Humor und perfekte Manieren. Dank Ihrer Beherrschung der deutschen Sprache, fand sie sich am Anfang der Eroberung Polens im Büro des deutschen Gouverneurs der Stadt, als Dolmetscherin. Die Rechtsanwaltskanzlei, die sie beschäftigte, hat sie beim Gouverneur empfohlen, und so wurde ihr ein Zimmer zugeteilt mit einer Schreibmaschine und einem Stapel Formularen. Die Familie spürte sich gewissermassen geschützt, auch wegen der deutschen Herkunft der Grossmutter, und des Ansehens, das sie genoss, noch aus den jahren als sie Schulleiterin der deutschen Mädchenschule war. Am Anfang mangelten sie nicht an Lebensmitteln, das Leben verlief beinahe wie gewohnt, es war möglich mit den neuen Stadthalter sich in derer Sprache zu unterhalten, und Grossvater sagte, da? letztendlich sind doch die Deutschen Kulturmenschen.
Die Letzte die meine schöne Tante hinter der anderen Seite des Stacheldrahtzauns sah, der beide Teile des Lagers voneinander trennte, war die Cousine Karola, sie blieb am Leben und erzählte. Der Kopf kahlgeschoren, mit Geschwüren bedeckt, in gestreiften Lumpen, zahnlos, so stand die schöne Elisabetta auf der anderen Seite des elektrisierten Stacheldrahtzauns und starrte die Frauen an, die sich dort ansammelten und noch wie Menschen aussahen.
Nur ihre hellen Augen blieben ihr bei, es ist zu zweifeln ob sie sah, ob sie erkannte. Taumelnd, dünn wie ein Skelet, in ihrer abgemergelten Hand der Blechnapf. Vielleicht war sie schon geistig umnachtet, vielleicht war sie noch bei Verstand. Nach den stückhaften Aussagen von Zeugen, die es meiner Tante gelang zu sammeln, wurde Elisabetta den schwersten Qualen ausgesetzt, ehe sie nach Birkenau kam. Es gab Momente, da wurde sie durch ihre Schönheit gerettet, andere Male stürzte sie diese ins Unglück. Einige nannten sie „die Schöne Jüdin“, so erzählte meiner Cousine jemand, dessen Schwester glaubte einige Zeit mit Elisabetta zusammen im selben Lager gewesen zu sein.
Ihren gequälten Körper trug sie in den gestreiften Lumpen bis zu ihrem Tod, als sie sich suf den elekrisirten Zaun hinwarf.
Mutter sagte immer, dass ich Elisabetta ähnele. Das alte Foto, dass sie bei sich hielt war ziemlich unscharf, aber Mutter fügte dem hinzu was die Augen nicht erkennen konnten, und so sah ich sie: bleich, hohe slawische Backenknochen, grosse Augen, modischer Hut, und ich wollte immer zurück an die Orte wo sie lebte und starb.

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Hier, in diesem blitzblanken Altersheim, standen sie gegenüber dem alten Mann, der in sich zusammengezogen da sass, sein Kopf schief hinunter hängend, mit einer karierten Wolldecke zugedeckt. Die Schwester blickte sie etwas verlegen an, als wollte sie sagen, dass man nicht mehr tun kann.
„Vielleicht möchte er etwas Schokolade, die Alten lieben Süssigkeiten“, schlug sie mit einem erfahrenen Lächeln vor, doch vom Alten kam keine Reaktion. Sein Blick starrte weiter, geheftet an einen fernen Punkt irgendwo. Er drehte sich ungeduldig um, verärgert.
„Was hast Du davon, dass du hier stehst und diesen stupiden Schrott anschaust? Du mit deinen verrückten Einfällen, ‚versuchen den Code zu entschlüsseln‘, Historiker- schwachsinn, für mich ist er gestorben!“ Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber dem Rollstuhl. Ihr langes, dunkles Haar lag auf ihren Schultern. Am morgen flechtete sie feine Zöpfe hinein und Bändchen, die auf beiden Seiten ihres Gesichts herunter fielen. Sie blickte weiter tief in die glöschten Augen, die hell bis durchsichtig waren. Sie sah die Blutäderchen, die Pupillen, die sich kaum regten. Sie stützte ihr Gesicht auf ihr Handgelenk und blickte weiter. Konzentriert. Er fragte die Schwester, „Spricht der Alte noch?“ Sie antwortete „Nur selten, und auch dann sehr unklar, und wenn schon, dann hat es immer etwas mit der Vergangenheit zu tun. Ihr wisst schon, diese Dummheiten, dieselben Naziparolen, heil Hitler und dergleichen, ein Verrückter.“ Er ging zum Fenster un schaute hinaus, auf den hinunter strömenden Regen. Die Schwester verlie? für einen Moment ihre Stellung beim Alten und ging noch eine Lampe an zu machen. Plötzlich regte sich ein Muskel in dem erstarrten Gesicht des Greisen. Vielleicht wegen des grellen Lichts. Das Zucken in seinem Gesicht wechselte zu einer Art Lächeln, die Lippen spreizten sich, sehr weisse Ersatzzähne kamen zum Vorschein. Sie schaute ihn weiter konzentriert an, dabei die Falten auf den eingefallenen Backen zählend, mit all ihrer Macht ihren Blick in seine Pupillen hineinstechend, die noch winziger wurden. Rutschte ihren Stuhl etwas näher an den Rollstuhl, ihre Augen nicht von seinem Gesicht weichend. Der Alte schaute sie an. Für eine Sekunde, als hätte eine unsichtbare Hand einen durchsichtigen Vorhang beiseitegeschobe flackerte ein funken Erkenntnis in ihnen auf, jetzt erweiterten sich die Pupillen. Sie sass da und ihr Blick an die Augen geheftet, die wie es schien, zu sehen begannen. Die fest verschlossenen Lippen entspannten sich, bewegten sich langsam, sie spürte, dass er sie jetzt sah. Das verzerrte Lächeln sass wieder auf den Lippen, der Alte öffnete seinen Mund, „Ah, die schöne Jüdin“, stammelten die grauen Lippen. Für einen Augenblick wurden die wässrigen Augen zu lebendigen Augen, „Ah, die schöne Jüdin“, der Mund blieb in seiner Vezerrung offen, die wimpernarmen Augenlider löschten mit ihrer Bewegung den Blick und er versank wieder. Die Augen starrten wieder hohl. Ihr Herz raste. Ein Satz, drei Wörter und ein fürchterlicher Gedanke durchfuhr sie, schauderhaft. Vielleicht, in diesem einzigen Moment der Erkenntnis, erkannte er sie. Vielleicht sah er sie, ihre schöne Tante, wie damals am Stacheldraht.

Auf dem Rückweg regnete es wieder heftiger. Ein leuchtendes Schild zeigte auf eine nahe Tankstelle. „Bist du jetzt zufrieden?“ fragte er wütend und drückte auf das Gaspedal. Beinahe stie? der Wagen an den Wagen der vor ihnen fuhr. „Du willst uns killen?“ Sie schreckte zusammen und griff an seinem Oberschenkel. Er nahm seine Hand vom Lenkrad und legte sie auf ihre zitternde Hand. Eine Helle Hand, mit langen Fingern, sehr warm. Sie bebte. Ohne nachzudenken griff sie seine Hand, und drückte sie fest an ihre Lippen.

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